Die Jahreslosung für 2025 lautet: „Prüft alles und behaltet das Gute!“ (1. Thessalonicher 5,21). Dieser Vers ist so prägnant formuliert, dass er im Gedächtnis bleibt. Doch wie können wir tatsächlich alles hinterfragen und dabei nur das Gute bewahren?
Der 1. Thessalonicherbrief, aus dem dieser Vers stammt, wurde von Apostel Paulus verfasst. Er richtete ihn an die neu gegründete Gemeinde in dem heutigen Thessaloniki in Griechenland. In beiden Briefen an diese Gemeinde geht es vor allem um die Wiederkunft des Herrn. Diese Schreiben zählen zu den frühesten apostolischen Dokumenten und entstanden vermutlich zwischen den Jahren 52 und 54.
In seinem Brief ermutigt Paulus die Mitglieder der jungen Gemeinde, die kulturellen Unterschiede bewusst zu betrachten und miteinander in Einklang zu bringen. Sollten sie beim Beten stehen oder sich auf den Boden niederlassen? Wie sollte ihr Umgang mit Sklavenhändlern aussehen? Und wie möchten sie den Gottesdienst gestalten? Paulus fordert zu Toleranz und Offenheit auf. Er wünscht sich eine Gemeinde, die den Dialog sucht und Gemeinsamkeiten findet. Der Vers „Prüft alles und behaltet das Gute“ vermittelt dabei eine Haltung der Gelassenheit.
Paulus lädt dazu ein, sich Zeit zu nehmen: genau hinzuschauen, zuzuhören und die Vielfalt der Eindrücke wahrzunehmen. Erst dann, so sagt er, können wir abwägen, was wir behalten wollen – und was wir bewusst ablehnen.
Gleichzeitig zeigt Paulus klare Grenzen auf. Sein Aufruf ist kein Plädoyer für Beliebigkeit oder Gleichgültigkeit. Vielmehr fordert er dazu auf, Verantwortung zu übernehmen, die Welt aufmerksam zu betrachten und sich eine fundierte Meinung zu bilden. Mit diesem Verständnis ermutigt er dazu, bewusste Entscheidungen zu treffen, die Orientierung geben und das Gute bewahren.
Dieser Vers von Paulus hat gerade in unserer heutigen Zeit besondere Bedeutung. Wir sind täglich einer Flut von “Informationen” aus dem Internet ausgesetzt. Im bevorstehenden Wahlkampf werden uns die Parteien zweifellos davon überzeugen wollen, dass nur sie die passenden Lösungen für die Herausforderungen der Zukunft bieten. Gleichzeitig sind die Prognosen für die Zukunft der evangelischen Kirche alarmierend. Auch wir als Gemeinde stehen vor der dringenden Aufgabe, Wege und Ansätze zu finden, um mit diesen Entwicklungen umzugehen.
“Prüfen” ist anstrengend, macht Arbeit. Aber es ist unerlässlich, um das “Gute” in einer Fülle von Vorschlägen zu finden und diese umzusetzen. “Prüfen” ist auch sehr protestantisch; schon Luther hat alle Christen dazu ermutigt, die Erzählungen der Bibel selbstständig zu betrachten und eine eigene Perspektive zu entwickeln. Dennoch bleibt oft eine gewisse Unsicherheit bestehen, denn „Prüfen“ bedeutet auch, Fehler zu riskieren. Gerade deshalb ist es wichtig, Entscheidungen immer wieder zu überdenken und den Mut zu haben, vergangene Fehler offen einzugestehen. Nur so können wir wachsen und uns weiterentwickeln. Als Christen können wir aber darauf vertrauen, dass der Geist Gottes uns immer dabei hilft, das “Gute” zu finden.
(Volker Müller, 31.12.2024)