Trier – Welchen Stellenwert haben die christlichen Kirchen in der gegenwärtigen Gesellschaft? Wie steht es um den Gottesglauben im Wandel der Zeit? Und wie können die Kirchen auf kulturelle Veränderungsprozesse eingehen? Am Nachmittag des Buß- und Bettags, 20. November, diskutierten der Trierer Bischof Dr. Stephan Ackermann und der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Dr. Thorsten Latzel, mit dem emeritierten Religionssoziologen Prof. Detlef Pollack von der Universität Münster. Moderiert wurde das Gespräch am Campus II der Universität Trier, das auch live gestreamt wurde, von Prof. Dr. Andreas Mühling vom Ökumenischen Institut für interreligiösen Dialog an der Universität Trier.
Weltweiter Rückgang der Religiosität
Anhand aktueller Forschung untermauert Pollack die These, dass nicht nur die Kirchen von einem Rückgang betroffen seien, sondern der Glaube an Gott, Religiosität an sich – und das weltweit. Ein Prozess, der von Generation zu Generation Fahrt aufnehme. Pollack nennt das die „Entkonkretisierung der Transzendenzvorstellung“, das heißt: „Der Gottesglaube verflüssigt sich, wird vage.“ Der Glaube an einen personalen Gott, zu dem man eine Beziehung hat, gehe zurück, wohingegen der Glaube an ein abstraktes höheres Wesen zunehme.
Mit Blick auf die Kirchenzugehörigkeit in Deutschland lasse sich eine „dramatische Veränderung“ anhand der Statistiken von 1950 bis 2022 feststellen: Ende der 1960er Jahre steigen die Austrittszahlen quasi „über Nacht“ – eine Folge des damaligen kulturellen und politischen Wandels. Trotz Schwankungen verzeichnet Pollack über die Jahrzehnte hinweg einen, interessanterweise bei beiden Kirchen parallel verlaufenden, Anstieg. Um die Jahrtausendwende schnellen beide Kurven steil in die Höhe. „Scharf formuliert könnte man sagen: Die Kirchen sind nicht mehr Herren ihres Schicksals“, resümiert Pollack, der zudem eine „scharfe Diskrepanz“ zwischen der Außenwahrnehmung der Kirchen und den Erfahrungswerten kirchlich Engagierter registriert.
Der Glaube: Trotzkraft in einer verrückten Welt?
„Religion und der personale Gott sind nicht selbsterklärend“, sagt Ackermann in dem auf Pollacks Vortrag folgenden Gespräch. Diesen wichtigen Aspekt müsse man mit Blick auf Verkündigung und Katechese vor Augen haben. In einer Wohlstandsgesellschaft, in der es laut Pollack eine „Aufmerksamkeitsverschiebung“ gebe, biete der Glaube dennoch ein integrales Angebot für die Menschen, denn er umfasse alle Facetten des Lebens: Freude, aber auch Leid und Trauer, so der Bischof.
Man könne natürlich auch ohne Glauben ein guter Mensch sein, stellt Latzel fest. „Doch mit Gott kommt eine andere Dimension hinzu.“ Die Mona Lisa etwa sei nicht nur eine Ansammlung von Punkten, sondern habe eine ästhetische Dimension, eine Dimension von Schönheit. „Es geht also um eine andere Erkenntnishaltung“, so Latzel, der Glaube sei „Trotzkraft in einer verrückten Welt“. Zudem bekräftigt er, dass es den Kirchen als Institution nicht um den puren Selbsterhalt gehe, sondern darum, Gott als Geheimnis der Welt spürbar zu machen. Trotz des immensen Vertrauensverlustes, den beide Kirchen derzeit verzeichneten, „können wir dazu beitragen, Menschen in ihrem Leben zu begleiten. Auch wenn wir kleiner werden, wir zweifeln dennoch nicht am Evangelium.“
Organisiert wurde die Veranstaltung vom Bistum Trier, der Theologischen Fakultät Trier, dem Ökumenischen Institut für interreligiösen Dialog an der Universität Trier und von der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR). Die Diskussion wurde per Live-Stream übertragen und kann hier angeschaut werden: https://www.youtube.com/live/c9JAsvliR5M.
(Inge Hülpes / Bistum Trier)